Ikone zu Joh. 21

    Joh.21 – die biblische Heimat der Gruppe 153

    Seit Silvester 2014 gibt es die Ikone „Die Offenbarung am See Tiberias“ als Eigentum der Gruppe 153, angefertigt von der Ikonenschreiberin Ursula Räke (Altenmedingen). Soweit ersichtlich, gibt es zu der Geschichte von Joh. 21 nur zwei Ikonen, eine davon befindet sich in der röm.-katholischen Kirche St. Peter in Gallicantu in Jerusalem, am Osthang des Zionsberges. Die ist sehr groß, hat die Form einer Lünette und befindet sich als Altarbild über einem Seitenaltar in der Kirche, die auf den Resten einer byzantinischen Basilika aus dem 6. Jahrhundert errichtet worden ist. Wie der Name sagt, erinnert die Kirche in ihrem Patrocinium an die Verleugnung des Petrus am Vortag der Hinrichtung und nimmt mit der Ikone einer der zentralen evangelischen Ereignisse im Leben des Petrus auf: die Übertragung der apostolischen Vollmacht auf dem Hintergrund des nachösterlichen Fischzugs in Kap. 21 des Johannesevangeliums.

    Elisabeth Rostan (Friedrichshafen) hat diese Jerusalemer Ikone entdeckt und als Foto mit auf eine der Tagungen der Gruppe 153 mitgebracht, wo sie als Geschenk an alle Teilnehmer ausgehändigt wurde. Aufgrund dieses Fotos entstand die Idee, eine Ikone anfertigen zu lassen, die diese Zentralgeschichte für die Gruppe 153 als eine geistliche Verdichtung sinnlich macht und auf den gemeinsamen Tagungen gewissermaßen das mitwandernde Haus unserer Gemeinschaft darstellt. Mehrere Fotostrecken von verschiedenen Gruppen, die die Kirche in Jerusalem besucht haben, dienten zu Verfeinerung der Vorlage, aus der Ursula Räke am Ende die vorliegende Ikone geschrieben hat.

    Ihre Lehrerin und Ausbilderin zur Ikonenmalerin war eine serbisch-orthodoxe Nonne, Schwester Nektarija, die 2011 im Alter von nur 42 Jahren verstorben ist.

    Die Bedeutung der Fischzugsgeschichte aus Joh.21 für die Gruppe 153 war nicht immer gegeben. Als „Ev.-luth. Missionsdienst“ entstand 1958 ein Unterstützungskreis für die damalige Hermannsburger Mission e.V., die 1977 überführt wurde in das Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen. Der Name „Gruppe 153“ entstand auf einer Theologischen Studientagung in Südafrika nach einer Bibelarbeit zu Joh. 21 sozusagen als „Spitzname“ des Missionsdienstes, der im übrigen vereinsrechtlich bis heute seinen Namen nicht geändert hat. In dieser Zeit ist auch die Gewohnheit entstanden, am Ende einer Theologischen Studientagung im Abschlußgottesdienst als Predigttext immer wieder Joh.21 auszuwählen. Genau festlegen läßt sich das nicht. Dazu sind die schriftlichen und mündlichen Erinnerungen zu unscharf. Aber daß es sich inzwischen um mindestens 40 und mehr Predigten handeln muß, dürfte feststehen. Immer geht es um Joh.21, 1-14, immer um einen Aktualitätsbezug, immer um eine neue Vergegenwärtigung des Glaubens an den Auferstandenen, der am Ufer wartet und seinen Jüngern ein Morgenmahl bereitet.

     

    Was bedeutet diese Ikone im Kontext der Gruppe 153?

    Zum einen ist es, wie angesprochen eine biblische Heimat der Gruppe 153, ein Zuhause, eine Bezugs- und Referenzgeschichte. In ihr artikuliert sich die Christusvision, die uns auf dem Weg als Weggemeinschaft begleitet, korrigiert, beschützt und herausfordert. Sie ist eine Erzählung über den Auferstandenen, aber darin auch eine Erzählung über uns selbst. Die Entscheidung, die Ikone in unseren Veranstaltungen mitwandern zu lassen, dokumentiert eine Christusgegenwart, die sich über Joh. 21 spezifisch und evangelisch als im Sinne des Evangeliums vermittelt.

    Die Ikone zeigt eine Geschichte, in zwei Akten. Der erste ist der wunderbare Fischfang, an dessen Ende nicht nur die 153 Fische im Netz zappeln, sondern auch eine heilige Mahlzeit angeboten wird. Der zweite Akt ist das Gespräch Jesu mit Petrus, in jener diesen fragt, ob er ihn liebe. Dreimal. Beide Akte sind zu einem Bild verschmolzen und zeigen an, Joh.21 als ein Dokument eines Glaubens- und Dienstweges gelesen werden kann. Vom Verlegenheitsfischer zum Nachfolger Jesu – diese Verwandlung wird in Szene gesetzt und als Dynamik des Glaubens vorgestellt. Das Johanneskapitel ist zwar die biblische Heimat, aber mitnichten ein Haus oder eine wie auch immer geartete bauliche Anlage. Es geht vielmehr um einen Geist, der sich auswirken und des Glaubens bemächtigen will. Insofern ist es eine kongeniale Veranschaulichung des „Programms“ der Gruppe 153 und ihrer liturgischen Formel: „Einfalt im Glauben, Wachheit im Geist und Liebe zu Gott, zur Kirche und zu allen Menschen“. Wer Gruppe 153 kennenlernen will, muss in die Gemeinschaft eintreten und mit ihr eine Strecke Weges gemeinsam gehen – Häuser und Heiligtümer gibt es nicht zu bestaunen.

    Drittens markiert die Ikone eine eigenwillige ökumenische Beziehung. Die Geschichte der Gruppe 153 ist eng mit der lutherischen Tradition Hermannsburger Prägung verbunden; zugleich ist aber das Hermannsburger Missionsseminar über Jahrzehnte hinweg durch den damaligen Leiter Olav Hanssen eng mit orthodoxer Frömmigkeit in Verbindung gebracht worden. Diese Verbindung spiegelt sich in der Verknüpfung einer orthodoxen Bildwelt in einer evangelisch-lutherisch geprägten Weggemeinschaft ab. Zugleich ist dies mit Bedacht ein Zeichen ökumenischer Gesinnung, die sich seit den 70er Jahren als roter Faden durch alle Bemühungen geistlichen Lebens in der Gruppe 153 zieht.

    Ein Viertes: diese Ikone gibt es nur ein einziges Mal. Es existieren keine Duplikate, keine Drucke. Insofern die Rahmenform von der Lünette zu einem Rechteck umgewandelt ist, liegt auch kein direktes Abbild mehr von der Ikone in St. Peter in Gallicantu vor, sondern ein eigenständiges Werk. So wie jede Gemeinschaft des Glaubens nichts anderes als eine originäre und originelle Umwandlung der ersten Glaubensgemeinschaft ist, die in der Gruppe der Jünger den Evangelien vor Augen steht. Alles irgendwie ähnlich, und doch ist jede Gemeinschaft eigen und anders als die anderen.

     

    Anmerkungen zur Ikone

    Die Ikone selbst, die Darstellung von Joh.21 soll unter drei Aspekten angeschaut werden:

    a) ein theologisches Bild,
    b) eine kirchliche Botschaft,
    c) eine menschliche Selbstbestimmung.

     

    Zum theologischen Bild:

    Schon beim ersten Blick auf das Bild erkennt man ein gleichseitiges Dreieck, das zwischen den Fischen, dem Brot und dem Lagerfeuer aufgespannt ist. In wünschenswerter Klarheit ein trinitarisches Symbol: das Brot chiffriert den Schöpfer und Vater aller Dinge, die Fische nehmen den Erlöser auf, das Feuer steht seit alters für den Geist Gottes. So ist die trinitarische Gottheit als geometrische Grundfigur tragend in die Komposition eingeschrieben. Zugleich wird aber eine Szene zwischen Menschen dargestellt. Petrus und Jesus im Vordergrund, die Jünger auf dem Fischzug im Hintergrund. 

    Die Spannung zwischen der abstrakten Begrifflichkeit der Trinität und dem Beziehungsgefüge zwischen den Menschen gehört zum christlichen Glauben von Anfang an. Denn Gott wird unterbestimmt, wenn wir ihn nur darauf reduzieren, als Vater oder Schöpfer oder Hirte eine bestimmte Rolle zu spielen: er ist und bleibt auch unter der Bedingung der Offenbarung in Christus ein Mysterium, das es in erster Linie nicht auszuforschen, sondern dem es sich hinzugeben gilt. Er ist nicht einfach eine Person, der wir begegnen und die sich uns als ebenbürtige Position gegenüberstellt, sondern er erscheint in Brot und Fisch und Feuer, er ist in Differenz und Einheit ein Ganzes und spannt in sich den Raum auf, in dem es Dynamik und Ruhe, Beziehung und Ruhe, Anspruch und Zuspruch gibt.

    Das altkirchliche Formular der sogenannten Perichorese (der Umlauf der Gottheit in sich selbst) macht das auf unvergleichliche Weise deutlich. Gott der Vater zeugt den Sohn, der Sohn offenbart den Vater, Vater und Sohn zeugen den Geist, und dieser wiederum bezeugt den Vater und den Sohn: jede der drei Personen steht in Wechselwirkung mit den anderen: unterschieden, aber nicht getrennt. Auf diese Weise entsteht das Bild einer Gottheit, die nicht einfach nur als Supersubjekt über alle Differenzierungen erhaben ist, sondern Räume und Andockmöglichkeiten schafft, damit die geschaffene Welt und der Mensch als ihr mitgeschöpflicher Protagonist in Beziehung treten können. So entsteht die wunderbare Möglichkeit, Gott als Teil der Schöpfung mitzudenken und ihn mit den Mitteln der Schöpfung und des alltäglichen Lebens anzubeten und zu erkennen.

     

    Zur kirchlichen Botschaft:

    Das wird konkret ausgeführt in der Übertragung der Vollmacht Jesu an Petrus. Mitten durch das Feuer und das gleichschenklige Dreieck zieht sich die Senkrechte des Hirtenstabs, den Jesus mit seiner rechten Hand an Petrus weiterreicht. Die ikonographischen Merkmale der beiden großen Figuren im Vordergrund seien einmal beiseite gelassen. Wichtig ist die demütige, ehrfürchtige Haltung des Petrus, der an den Stab noch nicht anfasst und sich der Bürde und Würde des Vorgangs offenbar bewusst ist. Was hier geschieht, ist die bildliche Umsetzung von Joh.21, 15.16.17 „Weide meine Schafe“ und Mt.16,18 „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“. Christus übergibt an Petrus die Vollmacht und den Auftrag, die Herde Gottes zu weiden und zu hüten. Das geschieht nicht allein aus der Fürsorge Christi heraus, sondern im Auftrag des dreieinigen Gottes, durch dessen Dreieck der Hirtenstab gemalt ist. Das ist also keine Freundschaftsgeste und auch keine Religionsstiftung durch Jesus, sondern eine Bewegung, die aus der jüdischen Gemeinschaft, aus der Jesus kommt, in die christliche Gemeinschaft, für die Petrus steht, hinüberreicht. Nicht umsonst ist gerade das Johannesevangelium dasjenige unter den vier Evangelien, das am vertrautesten mit den jüdischen Gebräuchen und der historischen Situation ist.

    Damit wird über die Kirch etwas sehr Wichtiges gesagt. Sie ist nicht einfach nur eine Dachgesellschaft für spirituelle Gesinnungsgenossen oder ein religiöser Zweckverband. Sie stammt aufgebbar aus dem jüdischen Glauben und bleibt gebunden an die historische Figur Jesus Christus. Ihre Autorität ist keine Anmaßung, sondern Umsetzung eines göttlichen Auftrags, der für sie zugleich Grundlage und Orientierung ist. Ihre Gemeinschaft speist sich nicht aus der Übereinstimmung der Individuen, sondern resultiert aus dem gemeinsam umgesetzten Auftrag Christi. Das Volk Gottes, die Kirche, ist zu begreifen als die Herde des guten Hirten Jesus Christus, es geht um Eigentumsverhältnisse und Zugehörigkeitsmerkmale. Christus gibt seine Macht und Vollmacht nicht auf, sondern weiter. Diesen Adel trägt die Kirche an sich, einerlei welcher Konfession wir uns zugehörig fühlen, und dieser Adel ist ihre eigentliche Qualität. Ihr zentraler Charakter ist diese Zugehörigkeit, nicht ihre Gesellschaftstauglichkeit oder ihre Modernität oder Traditionsberwusstsein. 

     

    Zur menschlichen Standortbestimmung:

    Die dramatische Geschichte des Fischfangs mit all den Einzelheiten und kleinen Randbegebenheiten tritt auf der Ikone in den Hintergrund. Dominant ist der Akt der Stabübergabe und der Kirchengründung. Auch das wird kein Zufall sein. Der Ikone geht es nicht um spannende geistliche Unterhaltung, sondern, ganz im Sinne des Johannesevangeliums, um die Zuordnung geistlicher Zusammenhänge und menschlich-allzumenschlicher Vorgänge. Der Fischfang war eben nicht nur ein staunenerregendes Wunder, sondern die Offenbarung, dass Christus niemand anderes ist als der Gottessohn in all seiner Vollmacht und Schöpferkraft. Die Fische sind nicht nur einfach viele, sondern genau 153 – eine Zahl, die bis heute in ihrer symbolischen und auch mathematischen Raffinesse nicht ausgemessen ist. Jesus ist nicht nur ein Wiedergänger, der am Ufer steht und eine Machtdemonstration wiederholt, sondern das göttliche Mysterium selbst, das sich seinen ehemaligen Jüngern zuwendet. In allen Ereignissen steht eine Offenbarungs- und Verklärungsqualität auf dem Sprung. Das muss man nicht sehen, es ist aber zu sehen. 

    Hier wird für ein Selbst- und Weltverständnis plädiert, dass die Aufmerksamkeit auf den Hintergrund der Zeitläufte lenkt und sich nicht mit der schlichten Faktizität der Ereignisse zufriedengibt. Die Oberfläche der Dinge ist nur ein Teil ihrer Wirklichkeit. So wie Johannes dem Petrus zuraunt „es ist der Herr!“, so ist demjenigen, der glaubt, noch eine andere Dimension gegenwärtig. Wer sich eine solche Sicht der Dinge angewöhnt, erlebt eine andere Welt als die des Faktischen. Für den tritt allerdings das aufgeregte Hin und Her der Oberflächenerregungen in den Hintergrund. Der auf der Ikone aufgebrachte Goldgrund der Wirklichkeit macht sich existentiell als Stille des Herzens kenntlich.


    Ein solches Leben zu führen und in solchem Glauben zu leben ist ein Anliegen unserer Weggemeinschaft.