personelles | 9. oktober 2025
Nachruf
Reinhard Deichgräber, 18. September 1936 bis 29. September 2025, gehört zum Urgestein der Gruppe 153. Jahrzehntelang leitete er die lebenskundlich orientierte „Mitarbeiterschule“, zu der ich selbst 1970/71 gehörte. Sie war in den Anfangszeiten ein wichtiges Projekt der Gruppe 153 zur Schulung und Glaubensvertiefung von Ehrenamtlichen. In meinem letzten Brief an ihn vier Wochen vor seinem Tod dankte ich ihm: „In dem Jahr der Mitarbeiterschule hast du mir in vielen Dingen geholfen, gabst mir Orientierung und wurdest mir zum Segen.“
__ Zum anderen hat er jahrelang in Aufschlüsse Beiträge geschrieben, vor allem für die Rubrik „Oramus. Briefe zum geistlichen Leben“. Diese Betrachtungen schrieb er von September 2004 bis zum Dezember 2015. Darin legte er ein paar Jahre Taizé-Gesänge aus; von Juni 2008 bis Dezember 2015 folgten Betrachtungen zu Sprüchen des „Cherubinischen Wandersmanns“ Angelus Silesius. Dann gab er die Stafette an mich weiter, und ich wurde 2016 sein Nachfolger in dieser Reihe. Für dieses Vertrauen danke ich ihm noch heute.
Reinhard Deichgräber kam als promovierter Theologe 1965 nach Hermannsburg, wo er dreißig Jahre lang Altes Testament und Lebenskunde unterrichtete. Davon profitierten nicht nur die Studierenden am Seminar, sondern auch die Männer und Frauen der schon erwähnten „Mitarbeiterschule“. Er verband tiefe Frömmigkeit mit großer gedanklicher Klarheit. Seine Glaubensprägung kann als „lutherischer Pietismus“ bezeichnet werden, worauf er aber nicht eingeengt werden darf. Seine Lebensanschauung war philosophisch reflektiert, dazu kam eine mystische Dimension, stark inspiriert von Gestalten wie Angelus Silesius und Gerhard Tersteegen.
Er schrieb eine Reihe gut verständlicher mutmachender Bücher. Begleitung von Einkehrtagungen waren ein wichtiger Bestandteil seines Wirkens. Eine große Rolle spielte für ihn das Singen. Gott zu loben auch durch Gesänge machte ihm Freude. Bis ins hohe Alter sang er, meist auswendig, viele geistliche Lieder.
Diese Seite seiner Persönlichkeit wurde ergänzt durch seine Liebe zur Schöpfung. Deichgräber liebte das Wandern. Ich selbst habe durch ihn 1970 das Wandern lieben gelernt. Er machte außerdem 35 mal das Sportabzeichen in Hermannsburg.
Was nur wenige wissen (er hat es mir etwa 2 Jahre vor seinem Tod anvertraut): Seine Mutter hatte für ihn die Laufbahn eines Arztes ausersehen. Davon träumte sie seit seiner Kindheit, tolerierte aber großmütig seine Wendung zur Theologie. Als er auf der Höhe seines Dozentenlebens 1984-1987 eine Zusatzausbildung in Logotherapie machte, kam dieser alte Traum in gewisser Weise zur Erfüllung: In der Seelsorge weitete sich sein Blick für Menschen, und seine therapeutische Fertigkeit vertiefte sich. Er brachte Menschen nicht nur durchs theologische Examen, sondern auch durch existentielle Krisen. In seiner Beratungstätigkeit versuchte er nicht, Menschen in eine ihm gut dünkende Richtung zu drängen, sondern war eher bemüht, die inneren Möglichkeiten der Gesprächspartner zu ertasten und ihnen Mut zu machen, authentisch ihren eigenen Weg zu gehen. Feierlich ausgedrückt: Er bestärkte Menschen, ihre „Entelechie“ zur Entfaltung zu bringen. Gespräche mit ihm hatten nicht selten heilende Wirkung, was ich sowohl selbst erfahren habe als auch von Freunden weiß, die ihm begegnet sind. Die Wortverbindung „ärztliche Seelsorge“, die Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie prägte, fand in Deichgräbers Tätigkeit eine schöne Verwirklichung.
Er hatte auch ein Herz für die Armen. 2003 gründete er die „Donamus-Stiftung“ zum Wohl unterprivilegierter Kinder im südlichen Afrika, deren Leitung er 2018 an mich übergab.
Wir blicken zurück auf ein reiches und gesegnetes Leben und danken Gott dafür.
Volker Keding für die Gruppe 153
Oktober 2025