153 – mehr als eine Zahl
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Im ersten Teil dieser kleinen Reihe haben wir uns mit einigen Auslegungsversuchen des Abschnitts Joh.211-14 beschäftigt, in dem diese merkwürdige Zahl erscheint. 153 große Fische, so heißt es in v.11, zieht Petrus nach dem nachösterlichen Fischfang an Land. Die Netze, anders noch als im vorösterlichen Fischzug in Lk.51-11, reißen an diesem Morgen nicht.
Lässt man einmal Fische, Netze und Jünger beiseite und schaut sich die natürliche Zahl 153 als mathematisches Objekt an, so bietet sie allein eine ganze Reihe von Besonderheiten, auf die man als unbeschwerter und unvoreingenommener Bibelleser erst einmal nicht kommt. Mathematik ist bekanntermaßen konstant und völlig zu Unrecht eines der unbeliebtesten Schulfächer in Deutschland, und so mag es auch damit zusammenhängen, dass die Erkundung der Zahlen als Zahlen, als mathematische, abstrakte Gebilde, im Ersten wie im Zweiten Testament weitgehend ausbleibt. Auch im Hebräisch- oder Griechischunterricht werden, so jedenfalls meine eigene Erinnerung, im Allgemeinen die Benennung der Zahlwerte gelernt, aber ihre Bedeutung und die Form ihrer Repräsentanz bleibt ein weißer Fleck. Holen wir es an einer Zahl nach, die uns auf traditioneller und unmittelbarem Wege verschlossen bleibt, einmal nach.
Beginnen wir mit einer sehr einfachen Betrachtung. Wenn man die natürlichen Zahlen, bei 1 beginnend, bis zu einem bestimmten Wert n, der sogenannten Basis, aufaddiert, ist die Summe nach der sogenannten Gaußschen Summenformel leicht zu bestimmen.
Die Summe bis zur Zahl n ist zu bilden durch die Formel n(n+1)/2.
Addiert man etwa alle natürlichen Zahlen von 1 bis 17, also 1 + 2 + 3+ 4 + 5 +…, landet man beim Resultat: 17∙18/2=153.
Einer Anekdote zufolge soll Carl Friedrich Gauß diese Summenformel im Alter von 9 Jahren selbst entdeckt und zur Verblüffung aller seiner Lehrer auch sofort angewendet haben. Im Fachjargon nennt man Zahlen, die sich als Summe einer solchen Reihe ergeben, „Dreieckszahlen“, weil sie sich geometrisch in einem gleichschenkligen Dreieck anordnen lassen. Zunächst ist das nur eine Beobachtung, noch kein Tiefsinn, nichts zum Verwundern. Behalten wir aber die Zahl 17 im Auge.
Neben den sogenannten Dreieckszahlen wird in der Mathematik auch von Sechseckszahlen gesprochen, gebildet aus der Summe natürlicher Zahlen, zwischen denen jeweils 3 Zahlen ausgelassen sind, also 1, 6, 15, 28 usw. Hier ist die 153 eine Sechseckszahl zur Basis 9, d.h. die neunte Zahl in dieser Reihe ist eben 153. Das wiederum lässt sich mit einer Primzahlbetrachtung in Verbindung bringen.
Erstaunlicherweise arbeitet nämlich die Primzahlzerlegung von 153 mit der 17 und mit der 9. Die Primzahlzerlegung lautet: 153 = 3∙3∙17. Zur Erinnerung: Primzahlen nennt man solche Zahlen, die nur durch 1 und durch sich selbst teilbar sind. Also, 1, 2, 3, 5, 7, 11, 13, 17, 19 usw. Für die professionelle Mathematik, die sich über das Wesen und die Struktur der Menge der natürlichen Zahlen Gedanken macht, sind die Primzahlen ein ganz bemerkenswertes, eigenes Universum. Für uns reicht aber erst einmal der neuerliche Hinweis auf die 17.
Nun kommen eine Reihe erstaunlicher weiterer Eigenschaften in den Blick. Zunächst eine Art „Selbstähnlichkeit“. Nehmen wir einmal, einfach als Spielerei, die dritten Potenzen der Ziffernwerte von 153, also 1, 5 und 3, und addiert sie, kommt folgendes heraus: 13 + 53 + 33 = 1 + 125 + 27 = 153. Natürlich legt sich spekulativ nahe, dass die 3. Potenz als Hinweis auf die Trinität gelesen werden könnte. Aber zunächst ist das nicht mehr als ein kurioser Zufall. Freilich und immerhin, ich wüsste nicht, dass es eine andere mehrstellige natürliche Zahl gibt, bei der diese „Selbstähnlichkeit“ funktioniert.
Damit ist die Sache aber immer noch nicht zu Ende. Denn diese Beobachtung lässt sich erweitern in einen wirklich merkwürdigen Algorithmus. Diesen Hinweis habe ich aus einem Aufsatz von dem Gießener Mathematiker Albrecht Beutelspacher in der Zeitschrift Bild der Wissenschaft (8/2009). Er notiert: Nimmt man eine x-beliebige mehrstellige natürliche Zahl, die durch drei teilbar ist, dann konvergiert folgendes Berechnungsschema stets und immer auf die Zahl 153: Man nimmt wiederum die einzelnen Ziffern dieser Zahl, berechnet die jeweils 3. Potenz und addiert die Ergebnisse zu einer Summe, mit der wiederum genau so verfahren wird. Die letzte Summe ist dann – immer! – 153. Nehmen wir als Beispiel die Zahl 63 (man könnte auch 99, 105 oder 1431 nehmen; es ist immer dasselbe).
Der Algorithmus geht wie folgt:
63 → 63 + 33 = 216 + 27 = 243
243 → 23 + 43 + 33 = 8 + 64 + 27 = 99
99 → 93 + 93 = 729 + 729 = 1458
1458 → 13 + 43 + 53 + 83 = 1 + 64 + 125 + 512 = 702
702 → 73 + 03 + 23 = 343 + 0 + 8 = 351
351 → 33 + 53 + 13 = 153
Ob das etwas bedeutet, steht dahin. Sicher ist: Der Evangelist Johannes wird sich über diese komplizierte Feinmechanik der Zahl 153 keine Gedanken gemacht haben. Weder die Menge der natürlichen Zahlen noch eine Primzahlzerlegung noch ein Algorithmus wie der eben geschilderte werden ihm bekannt gewesen sein oder vor Augen gestanden haben.
Sicher ist aber auch: Mit der Zahl 153 hat es eine besondere Bewandtnis, und eben das haben die antiken Schriftsteller in irgendeiner Form gewusst. Aus diesen Grunde holt Petrus nicht viele oder ganz viele oder 1000 oder 500 Fische aus dem Netz, sondern eben 153. In der Zahl liegt zumindest diese Botschaft, dass es nicht einfach um eine Mengenangabe, sondern um eine offenbar sehr differenzierte Binnenstruktur geht, zu der der Evangelist Johannes leider keinen eigenen Schlüssel geliefert hat.
Ach ja, einen kleinen merkwürdigen Nachschlag gibt es noch. 153 ist das Ergebnis folgender Summenbildung: 1! + 2! + 3! + 4! + 5!, ausgeschrieben: 1 + 2∙1 + 3∙2∙1 + 4∙3∙2∙1 + 5∙4∙3∙2∙1 = 1 + 2 + 6 + 24 + 120 = 153. Kurios, kurioser, am kuriosesten. Aber wozu dient es?
Wir wenden uns nun wieder der Zahl 17 zu, der Basis der Dreieckszahl 153 und dem Faktor der Primzahlzerlegung. Man sieht an den vorgetragenen mathematischen Lustbarkeiten , dass es bei einer solchen auffälligen Zahl nicht einfach um den Zahlenwert als Menge geht, sondern um eine Struktur, eine Aussage. Man kennt das aus den symbolisch hoch aufgeladenen Zahlwerten 12 oder 4. Auch bei ihnen geht es nicht einfach um die Menge, sondern um einen wichtigen Bezug, eine Botschaft. So steht „12“ immer in Verbindung mit der astronomischen Struktur der Tierkreiszeichen und bezeichnet dadurch einen kompletten Zeitumlauf der Gestirne. Es wird eine vollkommene, ewigkeitliche Bedeutung beigezogen, ein innerer Sachverhalt, der astronomisch abgebildet wird. Und die 4, davon war schon die Rede, ist so etwas wie die Ordnungszahl der Schöpfung (Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Elemente usw.).
Die Zahl 17 hingegen ist zunächst einmal verblüffend. Da fällt einem keine naheliegende natürliche Gegebenheit oder menschliche Grundsituation ein. Aber sie spielt in verschiedenen Zusammenhängen des Ersten Testaments eine Rolle. Der jüdische Gelehrte Friedrich Weinreb (Innenwelt des Wortes im Neuen Testament, Zürich 2012, 3. Aufl.) macht darauf aufmerksam, dass beispielsweise Joseph, als er von seinen Brüder verkauft wird, im 17. Jahr steht (Gen.372) und dass der 17. Tammus als Gedenktag für die Zerstörung der Mauern Jerusalems 586 v. Chr., der Zweiten Zerstörung Jerusalems 70 n.Chr. und auch der Zerstörung der ersten Gebotstafeln am Berg Sinai gedacht wird. Der 17. Tammus eröffnet eine dreiwöchige Trauerzeit im Festkalender, die sich der fatalen Ereignisse in der Geschichte Israels erinnert. Manche jüdischen Überlieferungen bringen noch weitere biblisch erwähnte Ereignisse mit dem 17. Tammus in Verbindung, und jedes Mal geht es um eine Art „turning point“ in der jüdischen Geschichte.
Damit verbindet Weinreb die Bedeutung des hebräischen Wortes טוׁב (tow), zu Deutsch: „gut, vollendet“. Dieses Wort hat, nach hebräischer Deutung, den Zahlwert 17, als Summe von 2-6-9 in den Buchstaben טוב. Diese Vokabel steht auch jeweils im Schöpfungsbericht am Ende der einzelnen Tage bei der Schlussbetrachtung Gottes über das, was er vollbracht hat. Die Idee, die Weinreb damit verbindet, lautet: 17, also tow (טוׁב) beendet den Lauf der bis dahin abgelaufenen Geschichte und fasst sie zusammen. Was danach kommt, ist ein neues Kapitel, öffnet eine neue Perspektive. Das muss nicht zwingend großartig sein, wie die Bedeutung des 17. Tammus zeigt. Aber als „turning point“ lässt sich diese Zuschreibung auch für Joh.21 durchaus verstehen: Die Zeit der leiblichen Gegenwart Jesu auf Erden ist vorbei, ebenso wie die Zeit der „einfachen“ Jüngerschaft, in der man bei Fragen einfach zum Chef gehen konnte, um sich dort schlau zu machen. Mit dem nachösterlichen Fischfang angesichts von 153 gefangenen Fischen bricht eine neue Zeit an.
Im nächsten Abschnitt beschäftigen wir uns mit einem weiteren Aspekt dieser Zahl und
gehen auf die im engeren Sinne christlichen Zuschreibungen ein.
Helmut Aßmann