Advent 2025
newsletter | 02
„Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich, und Dunkel die Völker, aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir …“
Jes.602
So beginnt eines der schönsten und leuchtendsten Kapitel aus dem dritten Teil des Propheten Jesaja. Die Lage wird ebenso düster wie verheißungsvoll dargestellt.
Finsternis über dem Erdreich, Dunkel über den Völkern. Man muss das nicht groß erläutern am Ende des Jahres 2025. Das lichtvolle Jahr 1989 ist längst vergangen. Die Wende in Deutschland und Europa, das Ende des globalen Konfliktes, der den Namen „Kalter Krieg“ trug: für manche nur noch ferne Erinnerung. 2001 hatte sich der russische Präsident Putin mit einer Rede im deutschen Bundestag – übrigens nach den Anschlägen auf die New Yorker Zwillingstürme – in die Reihe der Freunde und Partner Europas mit umjubelten Worten eingetragen. Francis Fukuyama, US-amerikanischer Politikwissenschaftler, sah gar das „Ende der Geschichte“ gekommen.
Alles lange her. Nun liegt wieder Finsternis über dem Erdreich, von den Kämpfen um die Rohstoffe in der Arktis bis zum Wettrüsten im Weltraum, von der Seuche des weltweiten Drogenhandels bis zu den Massakern im Sudan. Wie damals, im Zweiten Weltkrieg; wie damals, während der Pest; wie damals, in den Völkerstürmen der Spätantike, wie damals… Ach je.
Kein Wunder, dass allerorten Menschen und Gesellschaften nach markigen Führungsfiguren suchen, starken Männern vor allem, die mit fester Hand wieder Ordnung in die unbeherrschbaren Fliehkräfte unter den Völkern bringen. Licht muss ins dunkle Haus der Menschheit, klare Ordnungen, verlässliche Bedingungen, Friede den Häusern und möglichst wenige Paläste, denen man einen Krieg an den Hals wünscht.
Die Lage ist düster, ja. Entsprechend auch die Stimmungslage unter den Zeitgenossen. Es ist – wieder einmal – eine Zeit, in der die lange feststehenden Leitplanken für Handeln, Denken und Sprechen nachgiebig werden, löchrig, unverständlich, ja, unbrauchbar.
Kurzum: Nichts Neues unter der Sonne. Man möchte mit dem Prediger des Ersten Testaments etwas altersmüde resümieren: Alles schon mal dagewesen. Gibt sich auch wieder. Hoffen wir, dass wir am Ende nicht die Betroffenen und Versehrten sind; hoffen wir, dass das Unglück an unserer Tür vorüberziehe.
So ist er eben, der Rhythmus des Lebens. Auf gute Zeiten folgen schlechte und umgekehrt. Auf Volksmundweise: Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, dann kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Je mehr Lebenserfahrung einer hat, um so leichter gehen ihm oder ihr solche ebenso tiefen wie banalen Sinnsprüche über die Lippen. Manchem Zeitgenossen scheint es da angebracht, sich zu schicken. Ist halt so.
Aber davon redet der Prophet nicht. Es stellt nicht einfach wieder gute Zeiten in Aussicht, sondern spricht von einer unmittelbaren Gegenwart: „über dir geht auf der Herr, und deine Herrlichkeit erscheint über dir“. Zum gleichen Zeitpunkt: Finsternis über der Welt und Licht über Israel. Angeredet wird das besondere Volk, nicht einfach der Erdkreis und die darauf wohnen. Die Ansage ist durchaus präzise. Es geht nicht um eine allgemeine Weisheit, auf die jeder kommen könnte. Der Blick soll auch nicht nur schlicht nach vorn, sondern nach oben gehen. Gemeint ist auch nicht nur ein Durchhalten, bis es wieder bergauf geht, vielmehr wird eine andere Orientierung inmitten der dunklen und düsteren Verhältnisse aufgerufen. Das hat einen anderen Ton, eine andere, adventliche Qualität.
Man kann sich das an drei Aspekten deutlich machen.
Was da erscheint, das aufgehende Licht, die Durchbrechung des Dunkels, hat eine befreiende, erlösende, lebendig und hell machende Wirkung. Die danach folgenden Verse beschreiben eine sich aufhellende, einladende Welt. Und zwar nicht einfach durch Anwendung von um Kraft und Gewalt, Machtdemonstrationen und Vernichtung von Feinden. Sondern durch Hinwendung zu dem Licht, das über Israel aufgeht. Zugegeben, in den biblischen Schriften finden sich bekanntlich eine Menge von Hoffnungen der Art, in denen eine Menge Blut vergossen und vielen Feinden der Garaus gemacht wird. Hier nicht. Und in den Evangelien ist es ebenso: Keine Zerstörung und militante Auseinandersetzung mit Andersdenkenden und Quertreibern, sondern „Licht der Welt“ und „Hingabe an die Freunde“. Die ersten Christen haben diese Aussicht des Propheten mit dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu verbunden. Da sahen sie so etwas gekommen: Ein Licht, eine Hilfe, eine Erleuchtung, eine Befreiung. Nennen wir das einmal den ersten adventlichen Aspekt: Was und wer da kommt, wird uns und allen helfen, uns erleuchten und zusammenführen.
Es ist der Herr, Gott, der da aufgeht mit seinem Licht in Jes.602, nicht etwas oder jemand, das oder den Menschenhand und -geist hervorgebracht haben. Dieser lapidare Hinweis ist wichtig. Wir Menschen, weder das alte Israel der vorchristlichen Jahrhunderte noch die modernen Weltbürger des 21. Jahrhunderts, werden je eine Erlösung herbeiführen. Im Gegenteil, wir schleppen offenkundig unseren eigenen Erlösungsbedarf unvermindert durch die Jahrhunderte und tragen ihn in jede geschichtliche Situation als Schattenkraft mit ein. Wir können uns nicht selbst ablegen, die lichtvollen Seiten ebensowenig wie die dunklen und düsteren. Diese eher noch weniger. Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker – der Status quo ist eindeutig. Der Advent hofft und sehnt sich nicht nach einer menschlichen Hilfskonstruktion oder pädagogischen Großveranstaltung, die sich ein gelehriger Mensch ausgedacht hätte. Wir warten auf etwas und jemand Anderes. Etwas und jemanden, der nicht aus uns heraus-, sondern uns entgegenkommt. Nicht hergestellt oder programmiert, sondern aus eigenem Antrieb. Nicht als Realisierung unserer Projektionen, sondern als Kraft aus einer anderen Wirklichkeit. Das könnte man den zweiten adventlichen Aspekt nennen: Die Erwartung und Hoffnung, dass nicht wir uns erlösen müssen, sondern dass es uns widerfährt. Dass nicht wir das Licht anzünden müssen, sondern es uns erhellt, aus eigener Kraft. Der Prophet stellt nicht weniger als das in Aussicht.
Noch ein dritter Aspekt gehört zu dieser kleinen Betrachtung. Worauf wir warten, muss nicht vor allem die Verhältnisse, sondern uns selbst verwandeln. Es hilft ja alles nichts, wenn wir im Schlaraffenland leben oder im Paradies oder im Elysium und dennoch „die alten Affen“ bleiben (Erich Kästner). Wenn die Befreiung, Erlösung oder Entlastung nur außen geschieht, aber nicht innen, wird nichts draus. Wir werden uns selbst mit unseren Bordmitteln nicht los, dazu bedarf es einer verwandelnden Kraft. Dieser Aspekt findet sich in den Schilderungen des Propheten (noch) nicht. Jesaja bleibt bei der Vision stehen, alle Völker wendeten sich nun Israel zu und beugten ihre Knie vor dem auserwählten Volk, ja, es liest sich, als würde alles Unglück kompensiert werden müssen zugunsten Israels.
Hier ist der christliche Advent einen anderen Weg gegangen. Der Advent ist hier keine kompensatorische Veranstaltung, in der alle Dinge nun aber endgültig zum Guten gewendet werden. Das wäre das alte Lied: Die Lage ist gut, die Stimmung wird schlecht. Nicht wegen der Lage, sondern wegen notorischer Undankbarkeit oder Langerweile. Der Advent zum Christfest hin zielt auf eine Verwandlung unseres Herzens, nicht eine Optimierung der Dinge. Die Verwandlung des Herzens ist schließlich auch das Schwerste. Die bewerkstelligen nicht wir mit unseren eigenen Einfällen.
„Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich, und Dunkel die Völker, aber über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir …“
Jes.602
Helmut Aßmann