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Wenn sich der Vorhang hebt … | Teil 2
Mir stach diese kleine Szene ins Auge – sich etwas unterscheidend von dem mir gängigen „Schema” - stiller, müder, verhaltener.
Maria liegt zentral und damit typisch für die mittelalterliche Ikonographie in der Mitte. Josef dagegen steht eher als Zeuge am Rand, nachdenklich und in sich gekehrt und sicher erschöpft nicht nur von der Reise. Zwei Frauen (man vermutet Hebammen) sind uns heute eigentlich nicht so vertraute Figuren in der Krippenszene, anders als in einigen mittelalterlichen Darstellungen. Sie entstammen wahrscheinlich den apokryphen Evangelien, nach denen statt den Hirten zwei bei der Geburt anwesende Hebammen namens Salome und Zelomi der Geburt beiwohnten. Salome zweifelte wohl der menschlichen Vernunft folgend an der Möglichkeit einer jungfräulichen Geburt und wurde prompt dafür mir einer gelähmten und verdorrten Hand gestraft. Und so kniet Salome ehrfürchtig neben Maria ihre Hand ausstreckend zum Christuskind. Streckt der Mensch (hier in der Figur der Salome) sich aus nach Christus (berührt ihn), so wandelt er sich, erfährt Heilung und Ganzheit allein aus der Nähe zu ihm. Zelomi, die zweite Hebamme, gießt Wasser aus einem Krug für das Bad des (Jesus)Kindes in ein Becken - in vielen mittelalterlichen Darstellungen als Symbol der Reinigung und Neugeburt.
Doch nun zum Titel dieses Textes ... Maria liegend und wahrscheinlich erschöpft von der Geburt greift nach einem Vorhang, den sie sanft zur Seite zieht – als würde sie ein Geheimnis enthüllen - für die sie umgebenden Menschen als auch für die Betrachter dieser Szenerie. Mich ergreift dieser Moment beim genaueren Hinsehen. Maria ist eine Mutter, die ihr Kind nie auch nur einen Moment allein für sich haben wird. Dieses Baby teilt sie mit aller Welt. Es ist trotzdem ein stiller Moment der Offenbarung, denn mit dieser Geburt beginnt ein Wunder: Gott tritt aus der Verborgenheit in die Welt, und Maria ist die Erste, die ihn sichtbar macht. Der Vorhang als symbolische Grenze zwischen Gott und Mensch ist gelüftet.
Und nun zuletzt noch ein Blick auf Jesus selbst. Das Kind liegt nicht in einer einfachen Holzkrippe, sondern in einem Steinbett ähnlich einem Sarkophag. Diese Darstellung ist kein Zufall, sondern eine bewusste theologische Botschaft, die tief in der mittelalterlichen Bildsprache verwurzelt ist. Der Stein verweist auf das Grab – ein Hinweis darauf, dass die Geburt Christi untrennbar mit seinem Tod (und damit mit der Sterblichkeit Gottes) und seiner Auferstehung verbunden ist. Eine Ankündigung des Kreuzes (!!!) mitten in der Weihnachtsgeschichte als Zeichen der Selbsterniedrigung Gottes und die steinerne Krippe aber auch stehend für die Härte und Endlichkeit des menschlichen Daseins.
Was bleibt für mich ... Der Zweifel von Petrus von Prag ist schon längst verschluckt vom Rad der Zeit, aber erwachsen ist letztendlich daraus ein künstlerisches Feuerwerk an Verkündigung – bis in das kleinste Detail. Aber wie es so ist, schaut man nur kurz hin und findet die erste Gefälligkeit ausreichend, so verliert man die Chance für die eigentliche Botschaft. Auch diese kleine Krippenszene verschwindet fast in der Fülle allen Prunks und der Dichte der Reliefs. Und doch ist sie zumindest für mich so anders als das, was heute in Holz gedrechselt und geschnitzt auf den Regalen in deutschen Wohnzimmern steht. Sichtbar sind auch der Zweifel (der uns schon zu Beginn dieser Geschichte begegnet ist) sowie die Endlichkeit des irdischen Seins. Sie sind eben auch ein Teil dieser Weihnachtsbotschaft, denn daraus erwächst erst alle Zusage, Versprechen und Hoffnung, die wir – und so soll es ja auch sein – mit der Heiligen Nacht verbinden.
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Für alle, die natürlich berechtigt nach den Quellen und Belegen zum Wunder Nr. 1 fragen (Wobei es mir hier wirklich nicht um die Echtheit des Wunders geht). … Es geben die päpstliche Bulle von 1264 „Transiturus de hoc mundo“ (archiviert in der Vatikanstadt), die Untersuchungsberichte in den Kirchenarchiven von Orvieto und natürlich die befleckte und im Dom von Orvieto ausgestellte Korporale Zeugnis.
Bilder:
Orvieto, Dom: Relief: Geburt Christi und Darstellung im Tempel | Urheber*in: Unbekannt / Repro / Rechtewahrnehmung: Mediathek des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt Universität zu Berlin (Urheberrechtsschutz nicht bewertet (CNE)
Raffael, Die Messe von Bolsena, 1512–1514, Stanza di Eliodoro, Raffael-Säle, Apostolischer Palast, Vatikanstadt. commons.wikimedia.org/wiki/File:Massatbolsena.jpg