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Graffiti und Streetart in Florenz

Klaus „Gulo“ Schulz

Graffiti und Streetart sind aus unseren Städten nicht mehr wegzudenken. Ärgerliche Schmierereien von meist jugendlichen Sprayern als Reviermarkierung oder staunenswerte Kunst wie bei den inzwischen berühmten Wandbildern des anonym bleibenden Banksy. Diese nichtkommerzielle Kunst ist generell illegal, wo sie nicht – wie im Falle der Banksy-Bilder gerne nachträglich – von den jeweiligen Eigentümern der Flächen erlaubt wird.
Illegal oder nicht Graffiti oder ähnliche Kunstformen wollen Aufmerksamkeit erregen und Botschaften in den öffentlichen Raum tragen: sei es bunter Protest gegen langweilige und sterile Betonflächen oder gesellschaftlich und politischer Appell wie bei Banksy’s wohl bekanntesten Werk „Flower Thrower“ (2005), auf dem ein schwarz gekleideter und vermummter Aktivist auf einer Häuserwand in Betlehem in der gewaltig aufgeladenen Atmosphäre der Intifada statt eines Molotow-Cocktails einen Blumenstrauß schleudert.
Ganz andere, phantasievolle Botschaften kann man in der Stadt der großen Kunst, Florenz an schlichten Verkehrsschildern entdecken.  Sie erregen Aufmerksamkeit und regen zu phantasievollen Überlegungen an. Das triviale Verkehrsschild „Einfahrt verboten“ (rund, roter Grund mit weißem Rand und zentralem weißem Querbalken) ordnet üblicherweise in den engen Straßen der florentinischen Altstadt die möglichen Durchfahrtrichtungen. Aber es regt auch die Phantasie an:
Da wird die behördliche Anordnung „auf die Hörner“ genommen, der gebieterische weiße Balken von einem klassischen David souverän weggetragen oder als Last erlebt, die einen niederdrückt und Widerstand provoziert, indem eine Faust den weißen Balken zerquetscht oder dreist ein Türchen öffnet, doch noch einzufahren.
Man kann die städtische Verkehrsplanung auch als ein Monster erleben, das einen mit den Verkehrsordnungen mächtig erschreckt, wenn man dieses Ungeziefer nicht einfach mit der Gitarre platt macht oder mit dem Weitblick einer Giraffe über die Dinge hinwegsieht.
Dass da Schild „Sackgasse“ plötzlich eine religiöse Konnotation erfährt, überrascht genau so, Leonardo da Vinci’s „vitruvischer Mensch“ im eingeschränkten Halteverbot oder freundliche Handschlag in der schrägen Linie eben dieses Zeichens.
Witzig und phantasievoll macht sich Kleinkunst über triviale Verordnungen her und amüsiert, protestiert und bietet ungeahnte Alternativen zum scheinbar Selbstverständlichen. In der Stadt der großen Kunst, epochalen Entwicklungen und immensem Reichtum adelt diese Kunst die Banalität eines schlichten Verkehrsschildes. Im Alltäglichen entdeckt der romantische Blick, was Novalis so beschreibt: „Die Welt muss romantisiert werden, das bedeutet, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Indem ich dem Gemeinen, einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen, ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten, die Würde des Unbekannten, dem Endlichen, einen unendlichen Schein geben.“

Kleinkunst ist eben auch Kunst und macht sichtbar.